Bürgergeld: Jobcenter-Mitarbeiter:innen klagen

Aktuelle Stunde 24.04.2024 28:32 Min. UT Verfügbar bis 24.04.2026 WDR Von Per Quast, Arne Hell

Bilanz zum Bürgergeld: Jobcenterbeschäftigte sehen kaum Verbesserungen

Stand: 24.04.2024, 17:03 Uhr

Nur knapp jeder fünfte Jobcenterbeschäftigte glaubt, dass die Einführung des Bürgergelds eine Verbesserung gebracht hat. Etwa die Hälfte sieht eine Verschlechterung. Das ist das Ergebnis einer Befragung.

Seit Januar 2023 bekommen Arbeitslose das sogenannte Bürgergeld. Zunächst waren es 502 Euro, zum 1. Januar 2024 wurde der Betrag nochmal auf 563 Euro pro Person angehoben. Es gab viel Zank darum - nicht nur CDU-Politiker befürchteten, dass sich durch die Anhebung die Motivation für Arbeitslose, einen Job anzunehmen, verringert hätte.

Ein Jahr nach der Bürgergeldreform wollte das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) zusammen mit der Ruhr-Universtität Bochum wissen, welche Erfahrungen die Jobcenter-Mitarbeitenden mit den neuen Regeln gemacht haben. Die Bilanz fällt gemischt aus: Mehrheitlich wird das Bürgergeldgesetz skeptisch gesehen.

Die Befragung fand Anfang 2024 statt, eingeladen waren gut 5.800 Beschäftigte der Jobcenter in sieben NRW-Kommunen - darunter Gelsenkirchen, Duisburg, Essen oder Aachen. Knapp 1.900 füllten den Fragebogen aus. Einer der Autoren der Befragung ist Dominik Schad. Er war bis Mitte vergangenen Jahres Leiter des Jobcenters für den Kreis Recklinghausen. Inzwischen ist er Kreisdirektor in Recklinghausen.

WDR: Von 14 neuen Regelungen befanden die Befragten nur vier so sinnvoll, dass sie beibehalten werden sollten. Vor allem die Erhöhung auf 563 Euro schätzen 78 Prozenten der Jobcenter-Mitarbeiter als zu hoch ein. Woran liegt das?

Dominik Schad - Kreisdirektor Recklinghausen

Dominik Schad - Kreisdirektor Recklinghausen

Dominik Schad: Ziel der Studie war ja, ein Jahr nach Einführung des Bürgergelds ein Stimmungsbild der Kolleginnen und Kollegen einzuholen. Es handelt sich aber nicht um eine repräsentativen Studie, sondern eine rein individuelle, subjektive Bewertung der Kollegen. Wir werden uns die Ergebnisse in Gänze anschauen und vor Ort darüber diskutieren: Ob es Zusammenhänge gibt, welche Schlüsse wir daraus ziehen – sowohl intern als auch mit Blick auf Hinweise an die Politik.

WDR: Laut der Befragung geht der Großteil der Jobcenterbeschäftigten davon aus, dass sich die Motivation der Arbeitslosen, zu arbeiten und auch ihre Mitwirkung durch das Bürgergeld "nicht verbessert" habe. Lässt sich mit 563 Euro Bürgergeld zu gut leben, als dass sich ein Job lohnen würde?

Schad: Genau das lässt sich aus dieser Studie nicht ableiten. Der Kausalzusammenhang zwischen Höhe des Geldes und der Bereitschaft zur Arbeitsaufnahme ist ausdrücklich nicht befragt worden. Durch das Bürgergeld haben sich zahlreiche Verfahren und Prozesse geändert – bei Anhörung etwa, Beratungen und Sanktionen. Hier sind die Mitarbeitenden in der subjektiven individuellen Bewertung scheinbar zu der Auffassung gekommen, dass die Motivation nicht gestiegen sondern teils auch gesunken ist.

Das wird auch eine der Kernfragen sein, denen wir in den kommenden Monaten nachgehen werden: Woran liegt das? Welchen Beitrag können wir dazu beitragen, das zu verbessern.

Aber, ganz wichtig: Die Befragung ist ja im Februar durchgeführt worden. Im März sind bereits neue Regelungen durch den Gesetzgeber in Kraft getreten: Bei den sogenannten Totalverweigerern sind jetzt auch umfassendere Sanktionen möglich. Das ist in dieser Studie ausdrücklich nicht mit eingeflossen.

WDR: Welche Erfahrung haben Sie selber gemacht, als Sie im vergangenen Jahr noch Leiter des Jobcenters Recklinghausen waren?

Schad: Im Jobcenter Kreis Recklinghausen hatten wir im vergangenen Jahr rund 9.500 Arbeitsaufnahmen aus dem Bürgergeld heraus. Im Vergleich zu den Jahren davor ist die Zahl, wenn man die coronabedingten Effekte herausrechnet, gleich geblieben. Rein objektiv hat sich nicht viel geändert.

Natürlich müssen wir die Bewertung der Kollegen dennoch ernst nehmen und untersuchen, woran es liegt, das die Motivation sinkt. Über Zusammenhänge möchte ich aber derzeit nicht spekulieren.

WDR: Das verbesserte Coaching von Langzeitarbeitslosen wird positiv bewertet. Wollen viele Arbeitslose entgegen der landläufigen Meinung eigentlich gerne arbeiten?

Obdachloser auf einer Pritsche

Langzeitsarbeitslose: Viele kämpfen mit diversen Problemen

Schad: Die überwiegende Mehrzahl der Leistungsempfänger ist daran interessiert, aus dem Leistungsbezug herauszukommen. Unser Bauchgefühl war immer, dass Coaching ein entscheidendes Kriterium ist, um Menschen in Arbeit zu bringen. Weil wir ja oft über Personen reden, die nicht nur lange arbeitslos sind, sondern die verschiedensten persönlichen, privaten, gesundheitlichen Probleme haben. Über das Coaching bekommen wir hier eine Nachhaltigkeit hin – auch für den Arbeitgeber: Durchzuhalten, Konflikte zu klären, auch die persönlichen Probleme hinter sich zu lassen, wieder in einen geregelten Arbeitsalltag zu kommen.

WDR: Überwiegend positiv bewertet wurde der Abbau von Bürokratie. Zum Beispiel müssen Jobcenter bei zu viel gezahlten Leistungen das Geld jetzt erst ab 50 Euro zurückfordern. Wieviel Energie binden solche Vorgänge bei den Mitarbeitern?

Schad: Wir müssen ja für Kleinstbeträge, teils nur einige wenige Euro, einen rechtskräftigen Bescheid erstellen, die Rückforderung erstellen und versenden und am Ende auch verbuchen. Bei Aufstockern beispielsweise kann es jeden Monat zu unterschiedlichen Einnahmen kommen. Da wir monatsscharf Leistung gewähren, kann es dann immer mal zu Überzahlungen kommen.

Zur Wahrheit gehört aber auch: Wir fordern als Jobcenter, die Diskussion aufzumachen, wie man das Bürgergeld entbürokratisieren, Antragstellungen oder Dokumentationspflichten vereinfachen kann, um die freiwerdenden Personalressourcen in Beratung zu investieren. Das hat das Stimmungsbild nochmal zum Ausdruck gebracht.

Das Interview führte Nina Magoley.

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